Santander Asset Management: "Brexit würde Wirtschaft Großbritanniens schwächen"
Dr. Klaus Schrüfer, Chefmarktstratege von Santander Asset Management (SAM) Deutschland, erörtert Vor- und Nachteile, die Großbritannien bei einem Austritt aus der Europäischen Union zu spüren bekäme. Bereits jetzt zeigen sich erste Effekte durch die Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro. "Bei einem langfristigen Anlagehorizont spielen solche geopolitischen Unsicherheiten allerdings nur eine geringe Rolle", sagt Schrüfer.
In rund drei Monaten, am 23. Juni, sind die Briten dazu aufgerufen, über die weitere Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union abzustimmen. Die Argumente für und gegen den sogenannten „Brexit“, den Austritt Großbritanniens aus der EU, sowie die möglichen Konsequenzen beschäftigen Politik, Wirtschaft und Medien auf der Insel seit Monaten. „Verschiedene Aspekte, speziell bei den Handelsbeziehungen zur EU, sollten bei einem Brexit zu einem merklich schwächeren Wachstum Großbritanniens führen“, prognostiziert Dr. Klaus Schrüfer, Chefmarktstratege von Santander Asset Management (SAM) Deutschland. In abgemilderter Form dürften aber auch die übrigen Länder in der EU einen Brexit zu spüren bekommen.
Die Investmentexperten von SAM nennen einige Folgen, mit denen im Falle eines Brexit zu rechnen ist. Entlastend für das Königreich könnte wirken, dass Großbritannien keine Beiträge mehr zum EU-Haushalt leisten muss und in einigen Bereichen wieder mehr politische Eigenständigkeit erlangen könnte, etwa in Fragen der Immigration, einer Hauptforderung der britischen Regierung. Ein abgewertetes Pfund gegenüber dem Euro würde zudem die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Großbritanniens erhöhen.
EU-Austritt würde Investitionsklima belasten
Allerdings würde im Falle eines Brexit der bislang freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit im gemeinsamen Binnenmarkt eingeschränkt, was sich negativ auf die Handelsbeziehungen auswirken könnte. Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner Großbritanniens: Rund die Hälfte der Exporte gehen dorthin. Zudem importiert Großbritannien weit mehr aus der EU, als es dorthin ausführt – zukünftige Zölle der EU würden die Preise der importierten Waren also voraussichtlich erhöhen. Auch dürften sich internationale Unternehmen mit Investitionen in Großbritannien zurückhalten, bis der Ausgang des EU-Referendums feststeht. Zudem würde ein Austritt wegen der dann notwendigen Neuverhandlungen über die künftigen Beziehungen zur EU zu jahrelanger Unsicherheit führen. Schließlich bedroht ein Brexit die Einheit des Königreichs, da die schottische Regierung für diesen Fall bereits ein neues Referendum über die Selbständigkeit Schottlands angekündigt hat.
„Die Abwertung des britischen Pfunds nach Bekanntgabe des Referendum-Termins am 23. Juni und dessen ungewisser Ausgang unterstreichen die Vermutung, dass ein Austritt in der Summe negativ für die britische Wirtschaft wäre“, führt Schrüfer aus. „Neben einem schwächeren Wachstum könnte auch das traditionell hohe Leistungsbilanzdefizit stärker in den Fokus internationaler Anleger rücken und die Währung zusätzlich schwächen.“ Erst vergangene Woche hatte der Chef der Bank of England, Mark Carney, vor dem Finanzausschuss des britischen Parlaments vor dem wirtschaftlichen Schaden eines Brexit gewarnt.
Derartige geopolitische Faktoren – neben dem Brexit auch der Zweifel über die Robustheit der chinesischen Wirtschaft – verunsicherten Anleger. Diese Unsicherheit sollte bei einem längerfristigen Anlagezeitraum jedoch keine entscheidende Rolle spielen, rät der SAM-Experte: Je länger der Investmenthorizont ist, umso höher sollte der Anteil risiko- und ertragsreicher Anlageformen wie Aktien sein. Auch für europäische Aktien seien die langfristigen Chancen auf einen weiteren Kursanstieg nach Meinung Schrüfers positiv – unabhängig davon, ob Großbritannien in der EU bleibt oder nicht.